The Value and Goals of Research on German-American History (Wert und Ziel der deutsch-amerikanischen Geschichtsforschung)

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Werth [Wert] und Ziel der deutsch-amerikanischen Geschichtsforschung
Vortrag gehalten von der Deutsch-Amerikanischen historischen Gesellschaft von Illinois am 23. Mai 1900.
Von Wilhelm Bocke.
Der amerikanische Revolutionskrieg ging mit dem Pariser Vertrage im September 1783 zu Ende. Kühne Männer, meistens aus dem Staate Virginien, waren im Laufe des Krieges in das noch wildfremde, nordwestlich vom Ohio-Fluß [Fluss] gelegene und von jenem Staate beanspruchte Gebiet, dass unter dem Namen Northwestern Territory bekannt war, vorgedrungen, hatten die Indianer zurück geworfen und den Grund zu blühenden Städten gelegt. Auf gewisse nördliche Theile [Teile] desselben wurden jedoch auch von New York, Connecticut und Massachusetts Ansprüche erhoben, welches zur Folge hatte, daß [dass] zur Vermeidung von Verwicklungen sämmtliche [sämtliche] vier Staaten, einer nach dem andern, ihr Hoheitsrecht an die eben begründete Bundesregierung abtraten. In 1787 erhielt dieses Gebiet eine Verfassung, die der berühmten Jefferson-Ordinance von 1784 nachgebildet war, und aus demselben entstanden im Laufe weniger Jahrzehnte die Staaten Ohio, Indiana, Illinois, Michigan und Wisconsin, die nunmehr zu den reichsten der Union gehören.
Auf diesem Erdtheil [Erdteil] hat sich die weltgeschichtliche Regel am augenfälligsten befundet [befunden], dass die Entwicklung des Menschengeschlechts, ihrem Hauptgang nach, dem täglichen Lauf der Sonne folgt. Immer weiter gen Westen drangen die kühnen Pioniere vor, deren Mission es war, das wilde, jenseits der Allegheny-Gebirge gelegene Gebiet der menschlichen Kultur zu eröffnen und den Millionen, die ihnen folgten, friedliche Wohnstätten vorzubereiten. Zu dem mächtigen Heer, das jich [ich] dieser Kulturarbeit unterzog, haben die Deutschen gerade hier ein großes Kontingent gestellt, wenngleich die wegen der politischen Ohnmacht, in die das Vaterland verfallen war, nur die Reihen der Gemeinen füllten, und, wie Friedrich Rapp richtig sagt, eine Armee ohne Offiziere bildeten. Welchen Antheil [Anteil] die an der Kolonisation der großen hier in Frage der stehenden Gebiete gehabt, wie weit die auf den Charakter des hier noch im Werden begriffenen Volkes einzuwirken und ihm dem Stempel ihrer Eigenart aufzubürden vermocht haben, das festzustellen muß [muss] für jeden denkenden Deutschen, der seine Rasse liebt, stets besonderen Reiz haben. Das Volk der Niedersachsen, die Ritter des Deutschen Ordens und die Bürger der Hansa [Hanse] hatten vor Jahrhunderten mit Schwert und Pflug die die größte Colonisation [Kolonisation] vollführt, welche die Welt seit den Tagen der Römer erlebt hatte. Die Lande zwischen Elbe und Memel wurden besiedelt und weit hinauf gen Norden und Osten, in die skandinavischen Länder, wurde die Fackel deutscher Bildung getragen. Daneben bestätige sich die schöpferische Kraft des deutschen Erfindungsgeists auf das glänzendste. Alle Entdeckungen und Erfindungen, welche in der Geschichte der Menschheit Epoche machten, werden unserem Stamme zugeschrieben, und im Mittelalter waren es wenig oder keine, welche nicht hierher gerechnet wurden. Die Oelmalerei [Ölmalerei], das Schießpulver, die Buchdruckerkunst, die Uhren, die Glasmalerei, das Schleifen von Diamanten, die Windmühle, sowie andere Mühlen, das Walzwerk bei der Vermünzung, das Leienpapier, die Seidenweberei, die beste Art Scharlach zu färben, das Spinnrad und die Spinnadel, das Fernglas, die Abweichung der Magnetnabel, die Blasebälge, endlich die vorzügliche mathematischen und mechanischen Instrumente, werden für Erfindungen der Deutschen erklärt. Auch find einheimische sowohl als fremde Schriftsteller aus dem Mittelalter voll des Lobes über den blühenden Zustand der deutschen Städte, sowie über den Gewerbefleiß ihrer Bürger. Doch wie das deutsche Volk früher fast ausschließlich die schöpferische Quelle aller Erfindungen war, so war es auch später der Hort der höheren Forschung und errang der Menschheit die Freiheit und Unabhängigkeit des Geistes, wodurch erst die Grundlage wahrer Wissenschaft gelegt wurde.
Es sind nun zwar der Jahrhunderte tiefer politischer Erniedrigung über das alte Vaterland hinweggezogen [hinweg gezogen], doch hat es sich, auf den Schlachtfeldern in Böhmen und Frankreich verjüngt und geläutert, auf’s Neue zu hohem Glanz erhoben, und sein Volk bestätigt wieder seine unverwüstliche Lebenskraft in Stolzem, aber friedliche Ringen mit den Tüchtigsten der Erde. Haben sich seine Söhne, die in die Fremde zogen, ihren Väter würdig gezeigt und haben sich die guten Eigenschaften ihres Stammes auch dort bewährt? Unser eigenes Selbstgefühl gebietet, daß [dass] wir uns hierauf Antwort gegeben.
Vor hundert Jahren war das Gebiet dieses Staates der menschlichen Kultur kaum erschlossen. Zwei Militärposten, Cahokia und Kaskaskia, befanden sich an seiner südöstlichen Grenze, und nur unter deren Schutz war es den ersten Ansiedlern ermöglicht [möglich], in dem von wilden Indianerhorden heimgesuchten Land festen Fuß zu fassen. Heute wohnen in diesem Staat über vier Millionen Menschen, von denen fast die Hälfte unsere eigene Stadt füllt. In einem Zeitraum von kaum hundert Jahren sind auf der weiten Prärien dieses Staates hunderte von blühenden Gemeinschaften entstanden, seine Felder tragen die reichsten Aehren [Ähren], dem Schoß der Erde werden werthvolle [wertvolle] Metalle entnommen, an den Flüssen wie an den künstlichen angelegten Verkehrswegen erheben sich unzählige Industrien der vielfältigsten Art, sowie viele andere Riesenwerke des menschlichen Fleißes, Handel und Wandel stehen auf einer hohen Stufe der Entwickelung [Entwicklung], unsere Bürger erfreuen sich im Allgemeinen eines befriedigend Wohlstandes, viele von ihnen haben sich ausgezeichnet auf allen Gebieten menschliches Wirkens, und während eine nicht geringe Anzahl in unserer Bundesregierung zu den höchsten Ehren gelangte, ward es verschiedenen von ihnen beschieden, zu einer Zeit, in der alle Segnungen unserer freiheitlichen Einrichtung auf dem Spiele standen, die Geschichte unserer Landes auf ihren Schultern zu tragen und durch ihre überlegenen Geist, sowie durch hohen Sinnesadel, nicht allein wirthschaftliche [wirtschaftliche] Verhältnisse von der äußersten Tragweite, sondern auch die aus ihnen hervorgegangenen politischen und sittlichen Anschauungen unserer Volkes in bessere Bahnen zu leiten.
Es darf angenommen werde, daß [dass] 30 Prozent der Bevölkerung dieses Staates deutscher Abstammung sind. Haben sie an den großartigen Entwickelungen [Entwicklungen], die hier stattgefunden haben, einen annähern gleichen Antheil [Anteil] genommen? Haben sie in Kirche und Schule, im Ackerbau, im Handel und Gewerbe, in den Industrien, den Künsten und Wissenschaften neben ihren Mitbürger gern anderer Abstammungen gleich segenreich gewirkt? Sind sie ihrem Adoptiv- Vaterlande treue Bürger gewesen, haben sie ihre öffentlichen Pflichten gebührend gewürdigt und in den Stunden der Gefahr, in Krieg und Frieden, unserer Bundesregierung mit Liebe und Hingabe zur Seite gestanden? Hat die deutsche Einwanderung die Kraft unseres amerikanischen Volkes erhöht oder vermindert? Hat die deutsche Presse des Landes die hohe Aufgabe, ihren Landsleuten als Lehrer und Wegweiser zu dienen, in allen Fällen richtig erfaßt [erfasst]; hat sie den geistigen und sittlichen Fortschritt ihrer Leser kräftig gefördert und hat sie im Allgemeinen in den großen politischen Parteikämpfen des Landes stets die richtige Stellung behauptet? Alles dies richtig zu prüfen, und darüber ohne Scheu, streng der Wahrheit folgend, zu berichten, soll die Aufgabe dieser Gesellschaft sein, denn nach dem treffenden Ausspruch eines deutschen Geschichtsschreibers „dürfen wir nicht was das Herz empfindet, die Phantasie so gerne gestaltet, in das Heiligthum [Heiligtum] der Geschichte einführen, sondern nur dem die Pforte zum Eingang öffnen, was Ueberlegung [Überlegung] und reife Beurtheilung [Beurteilung] als Wahrheit aufgefunden und erkannt haben.“ Im Allgemeinen dürfen wir jedoch von vorne herein kühn behaupten, daß [dass] sich die deutsche Kultur, durch ihren unschätzbaren Werth [Wert], trotz vieler feindlichen [feindlicher] Gegenströmungen, langsam und sicher überall Bahn bricht. Verhältnißmäßig [Verhältnismäßig] gering an Zahl und kaum mit der Durchschnittsfähigkeit der Bewohner der alten Heimath [Heimat] ausgerüstet, sind die eingewanderten Deutsche, welche meistens ohne Kenntnis der Sprache und der amerikanischen Verhältnisse hier landen, vielfach mit Ueberwindung [Überwindung] der widrigsten Umständen doch zu einem volkswirthschaftlich [volkswirtschaftlich] und geistig maßgebenden Einflusse gelangt. Die deutschen Einwanderer bestehen der Mehrzahl nach aus Leuten, die einem festen Beruf haben und aus ihrer Heimath [Heimat] Fähigkeiten und Talente mitbringen, deren Verwerthung [Verwertung] dem allgemeinen Erwerbsleben des Landes sofort zu Gute kommt. Wir finden daher unsere Landsleute auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit [Tätigkeit], auf denen nicht allein kräftiger Arm, sondern auch praktische und theoretische Kenntnisse erfordert werden. So hat sich der Deutsche nicht allein im Handwerk, sondern auch in den höchsten Leistungen der Baukunst und des Ingenieurfaches von jeher rühmlichst ausgezeichnet, während er mehr als alle Anderen das Kunstgewerb: die Lithographie, die Graveurkunst, das Goldarbeiter- und Juwelier-Handwerk, soweit sich dasselbe über die Fabrikarbeit erhebt, die Holz- und Steinbildhauerkunst und ähnliche nützliche und schöne Beschäftigungen pflegt. In gleicher Weise steht der Deutsche in vielen Fabrikzweigen vorne an, wie er auch als Klein- und Großhändler mi den Besten wetteifert. Doch der deutsche Bauer hat unserem Lande unstreitig den größten materiellen Segen gebracht. Sämmtliche [Sämtliche] weltliche Staaten der Union, des alten Pennsylvaniens gar nicht zu gedenke, sind unter den fleißigen Händen deutscher Bauer blühende Ackerbaustaaten geworden, und wer in tiefem Staate, die sonstwo im Lande, die besten Farmen sehen will, der muß [muss] zu den Deutschen gehen. Wo immer die deutschen Bauern sich ansiedeln, da beugt sich der jungfräulich stolze Boden dem emsigen Fleiße und der deutschen Ackerbaukunst und spendet der Mühe reichen Lohn. Die Einwanderer keiner anderen Nation bringen so große Fähigkeiten für den Ackerbau mit und tragen dadurch soviel zum Wohlstand des Landes bei wie der deutsche Bauer. Nur die Holländer und Skandinavier, beide Waffenbrüder des Deutschen, können sich hier auf einen edlen Wettstreit mit ihm einlassen.
Wir wollen aber auch nicht verkennen, daß [dass] die Deutschen nicht allein als Handwerker, Techniker, Gewerbetreibe und Bauern zu den Besten unserer im Entstehen begriffenen amerikanischen Nation gerechnet zu werden verdienen, sondern daß [dass] das größte Verdienst der heutigen Einwanderung darin besteht, daß [dass] der deutsche Geist und das deutsche Gemüth [Gemüt] im amerikanischen Charakter tiefe Wurzeln geschlagen haben. Unter der deutschen Einwanderung des letzten Jahrhunderts hat es nicht an Männern gefehlt, deren hohe Bildung sie in Stand setzte, durch Wort und Schrift auf die Vorzüge deutscher Wissenschaft, die Schönheiten deutscher Kunst und den Reichthum [Reichtum] der deutschen Literatur hinzuweisen. Auch haben auf der anderen Seite viele strebsame junge Männer unter den Amerikanern, nachdem sie ihre Studien auf hiesigen „Colleges“ beendet, eine höhere wissenschaftliche Bildung als letztere ihnen gewährten, unter den besten Lehrern deutscher Universitäten gefunden, und auf allen höheren Lehranstalten im Lande wird der deutschen Wissenschaft gebührend gehuldigt. Doch in ihrem veredelnden Einfluß [Einfluss] auf unser amerikanisches Volk steht nichts so hoch als das höchste, das die Erde kennt, die deutsche Musik. Nirgend zeigt sich der sittliche Werth [Wert] der deutschen Einwanderung, welche auch dieses unschätzbare Gut auf amerikanischen Boden heimisch gemacht hat, so groß als hier. Unbewußt [Unbewusst] nimmt der Amerikaner das deutsche Gemüth [Gemüt], welches sich durch seine Musik so herrlich offenbart, in sich auf und unter ihrem göttlichen Einfluß [Einfluss] regen sich die edelsten Triebe zu lebendigem Schaffensdrang. „ Jede gut ausgeführte Symphonie Bach’s, Beethoven’s oder Mozart’s, und der großen Nachfolger derselben,“ sagt Andrew D. White, „ist ein Gewinn für die amerikanische Civilisation [Zivilisation],“ während unser großer Landsmann Stallo diesem Gedanken in folgenden treffenden Worten Ausdruck giebt [gibt]: „ Welche Sprache unsere Kinder in den kommenden Jahrhunderten auch reden möge, sie und die Nachkommen der Anglo-Amerikaner werde die Weisen unserer Väter singen; das Licht der deutschen Wissenschaft wird ihnen aus den Augen strahlen und die Gluth [Glut] des deutschen Gemüths [Gemüts] wird ihre Wangen röthen [röten].“
Blicken wir daher auf das Wirken unserer Landsleute, so müssen wir gerade hier im Mittelpunkt der großen Staaten des Westens, wo sich Thatendrang [Tatendrang] und Thatenlust [Tatenlust] auf allen Gebieten menschlichen Schaffens auf das Kraftvollste offenbaren, einen belebenden Sporn fühlen, ihre Geschichte zu schreiben. Da sie nun einen erheblichen Bestandtheil [Bestandteil] des amerikanischen Volkwesens bilden und in alle wichtigen öffentliche Ereignisse kräftig mit eingegriffen haben, so ist es unvermeidlich, daß [dass] die innere Entwickelung [Entwicklung] des amerikanischen Volkes, so weit dasselbe diesen Staat bewohnt und von hier aus auf das Land im Allgemeinen eingewirkt hat, gezeigt wird, und daß [dass] alles Große, was auf irgend einem Gebiet das Volk bewegt hat, sofern deutsche Männer dieses States den geringsten Antheil [Anteil] daran hatten, in den Vordergrund der Erzählung gestellt wird. Nur dadurch kann ein einheitliches Geschichtswerk geschaffen und alles Episodenhafte vermieden werden. Auch ist nicht zu übersehen, daß [dass] sich von dem gegenwärtigen Augenblicke bis zu den ersten Anfängen amerikanischer Kultur eine lange Kette von Begebenheiten hinaufzieht, die wie Ursache und Wirkung ineinander greifen, und deshalb von einer ausführlichen Schilderung des Wirkens eines großen Bestandtheils [Bestandteils] unseres amerikanischen Volkes, der unseren Staat umfaßt [umfasst], nicht zu trennen ist. Zur Erfüllung dieser schwierigen, und durch unermüdlichen Fleiß und reges Forschen zu bewältigenden Aufgabe ist uns daher auch der Beistand begabter, mit den hiesigen Universitäten verbundener Darsteller bereits zugesichert worden.
Organisationen wie die unsere bestehen seit vielen Jahren in den verschiedensten Theilen [Teilen] des Landes, nicht allein unter den eingeborenen Amerikanern, sondern auch unter Irländern und anderen; auch verfolgen die Deutschen in einigen anderen Städten der Union ähnliche Bestrebungen. In der großen Stadt Chicago wollen wir uns daher nicht für minderwerthiger [minderwertiger] halten, als unsere Mitbürger anderer Abstammung, die sich seit Jahren systematisch in festgegliederten Bereichen mit Erforschung der Leistungen ihrer Stammesangehörigen bei der culturellen [kulturellen] Entwickelung [Entwicklung] des amerikanischen Volkes befassen, sondern wir wollen ebenfalls sorgen, daß [dass] unser eigenes Volkswesen durch geeignete Darstellung nicht allein gleich Anerkennung bei der Mitwelt finden [findet], sondern daß [dass] auch bei unseren Nachkommen ein berechtigter Stolz in ihre Vorfahren, sowie ein edles Streben für die Fortpflanzung der besten Eigenschaften des deutschen Volkscharakters erweckt werden möge. Jeder gebildete, mit richtigem Selbstgefühl ausgestattete Mensch blickt stets mit Stolz auf seine eigene Rasse; er vertieft sich gern in ihre Geschichte, fühlt sich gehoben und begeistert durch die Thaten [Taten] seiner Väter und befleißigt sich der Tugenden, durch die sie sich auszeichneten. Derjenige, der sein eigenes Volksthum [Volkstum] verleugnet, mißachtet [missachtet] sich selbst, und ein solcher Mensch verdient auch nicht die Achtung Anderer. Derjenige aber, der sich und seine Rasse achtet und in dieses Land kommt, um in dem amerikanischen Volksthum [Volkstum] aufzugehen, der weiß auch, daß [dass] er seine und seines Stammes Ehre am Besten wahren kann, indem er dem Lande seiner Wahl ein treuer und ergebener Bürger ist, und in der Erfüllung seiner Pflichten auf dem von ihm gewählten Gebiet menschlicher Thätigkeit [Tätigkeit] mit den Besten um sicher her zu wetteifern hat; denn nur dadurch kann er sich der unschätzbaren Wohlthaten [Wohltaten] des amerikanischen Bürgerrechts würdig erwiesen.
Daß [Dass] dem Deutschthum [Deutschtum] in diesen Lande dies stets vor Augen gestellt werden möge, sei die Aufgabe dieses Vereins. Möge daher dem Unternehmen, der Folgewelt getreu zu überliefern, was wir von der Vorwelt erhalten, die freudige Unterstützung unserer deutschen Landsleute zu theil [teil] werden, denn „der Mensch verwandelt sich und flieht von der Bühne; seine Meinungen fliehen und verwandeln sich mit ihm; die Geschichte allein bleibt unausgesetzt auf dem Schauplatz eine unsterbliche Bürgerin aller Naturen und Zeiten.“
Die Deutsch-Amerikanische Historische Gesellschaft von Illinois
Die Deutsch-Amerikanische Historische Gesellschaft von Illinois ist in’s Leben gerufen worden, um zunächst für eine Geschichte des deutschen Bevölkerungs-Elementes in Illinois während des neunzehnten Jahrhunderts das Material zu sammeln, und wenn die Zeit kommt, in geeigneter Weise zu veröffentlichen. Und zwar damit der große Antheil [Anteil], welchen die Deutschen an der Besiedelung [Besiedlung], der fortschreitenden Entwickelung [Entwicklung] und der großen heutigen Blüthe [Blüte] des Staates auf allen Gebieten menschlicher Thätigkeit [Tätigkeit] gehabt haben und haben, in wissenschaftlicher Weise über jeden historischen Zweifel hinaus so festgelegt werde, daß [dass] weder nativistische Beschränktheit noch Unwissenheit daran zu rütteln oder davon wegzunehmen vermag.
Wie nothwenig [notwendig] das ist, - wie sehr die Deutschen es ihrer Selbstachtung schuldig sind, daß [dass] ihre Leistungen in diesem Staate vor der Vergessenheit bewahrt werden, beweist am Schlagendsten das Beispiel der Deutschen, welche einst Theile [Teile] der Staaten New York und Virginien besiedelt haben, und deren Andenken bereits der Vergessenheit anheimgefallen war, welcher es durch neuere aufopferende [aufopfernde] Forschungen nur nothdürftig [notdürftig] und in schwachen Umrissen entrissen worden ist.
Sie beabsichtig ferner, so weit es nur irgend möglich, auch den Antheil [Anteil] an der Besiedelung [Besiedlung] des Staates Illinois festzustellen – und er ist ein sehr großer - , welcher auf die Nachkommen derjenigen Deutschen entfällt, welche im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert sich in den Saaten New York, Pennsylvanien, Maryland und Virginien angesiedelt haben, und deren Same im fünften und sechsten Gliede heute einen numerisch sehr starken Bestandtheil [Bestandtei] der Bevölkerung unseres Staates bildet.
Der Weg, auf welchem die Gesellschaft das nöthige [nötige] Geschichts-Material zu sammeln gedenkt, ist der, in allen Theilen [Teilen] des Staates Mitarbeiter zu gewinnen, welche die Forschung für ihre nähere und weitere Umgebung übernehmen.
Es gilt festzustellen: wann sich in dem betreffenden Ort, Town, County zuerst Deutsche ansiedelten; aus welcher Gegend des Vaterlandes sie kamen und welche Ursache sie herüberführte; welche den erste Grundbesitz erwarben; wie seitdem allmählich die deutsche Bevölkerung gestiegen ist oder abgenommen hat; welches die vornehmsten Ursachen der Zunahme oder Abnahme waren; wie groß der numerische Bestand der deutschen und der deutsche Grundbesitz heute ist; in welchen Berufen die Deutschen vornehmlich thätig [tätig] sind; welchen Antheil [Anteil] sie an dem Aufbau ihrer betreffenden Lokalität, sei es durch Einführung besserer Methoden der Landwirthschaft [Landwirtschaft] oder durch Einführung von Industrien, gehabt: welchen Einfluß [Einfluss] die Gründung von Kirchengemeinden auf das Wachsthum [Wachstum] und die Hebung des deutschen Elementes geübt; desgleichen die Turnerei, das Gesangvereins-, das Logenwesen und alle Bestrebungen auf geistigem Gebiete, welche sich hier und da, erfolgreich oder nicht, geltend gemacht haben; den Antheil [Anteil], den die Deutschen zu den verschiedenen Zeiten an öffentlichen Angelegenheiten (örtlichen, staatlichen und nationalen) und an den verschiedenen Kriegen genommen; und überhaupt Alles, was als ein Baustein zu dem heutigen großartigen Gebäude betrachtet werden kann.
Es ist klar, daß [dass], wenn eine so umfangreiche Forschung von einem Einzelnen ausgeführt werden sollte, sie viele Jahre in Anspruch nehmen würde, daß [dass] sie aber in verhältnißmäßig [verhältnismäßig] kurzer Zeit bewältig werden kann, wen sich Viele darin theilen [teilen]. Es liegt ferner die Gefahr vor, daß [dass] von einem Einzelnen vorgenommene Forschungen bei aller Vorurtheilsfreiheit [Vorurteilsfreiheit] und Unparteilichkeit leicht eine einseitige Richtung nehmen könnten; daß [dass] er Manches übersehen und ihm Manches entgehen könnte, was doch für das Gesammtbild [Gesamtbild] von großer Wichtigkeit wäre. Und es ist nicht zum Wenigsten aus diesem Grunde, daß [dass] die Gesellschaft auf die Betheiligung [Beteiligung] und Unterstützung aller Derer im ganzen Staate rechnet, welche das Wünschenswerthe [Wünschenwerte] ihres Strebens anerkennen und demselben Theilnahme [Teilnahme] [Anteilnahme] entgegenbringen.
Nun giebt [gibt] es in fast jedem Ort oder Town, wo Deutsche wohnen, deutsche Geistliche, Lehrer, Aerzte [Ärzte], Apotheker und sonstige federgewandte Männer, welche nicht nur vermöge ihre Lebenstellung und Intelligenz ganz besonders berufen sind, die Gesellschaft bei ihren Forschungen zu unterstützen, sondern auch diejenigen besser situirten [situierten] Deutschen kennen und zu beeinflussen wissen, welche für diesen hohen Zweck pekuniär zu interessiren [interessieren] wären. Wir haben im Staate über tausend deutsche Kirchengemeinden. Wenn sich nur jeder Geistliche und jeder Lehrer als Forscher in den Dienst dieser Sache stelle wollte, so wurde sie allein schon im Stande sein, ein geschichtliches Material herbeizuschaffen, das nur in wenigen Punkten der Ergänzung bedürfen würde. Aber außer ihnen giebt [gibt] es, wie gesagt, so viele Andere, die gleich berufen sind. Wenn dann noch ein jeder dieser freiwilligen Mitarbeiter wenigsten ein zahlendes Mitglied weren wollte – Geld ist leider zu Bestreitung der Drucksachen und des Porto unentbehrlich -, so wäre der Gesellschaft auch finanziell geholfen, und sie könnte alle ihre Ziele erreichen und ein Werk schaffen, welches die Kritik in jeder Weise aushalten und dem Deutschthum [Deutschtum] von Illinois zur bleibenden Ehre gereichen würde.
Es sei hier bemerkt, daß [dass] das beträchtliche Kapital, welches zur Herausgabe des druckfertigen Geschichtswerks nöthig [nötig] sein wird, von verläßlicher [verlässlicher] Seite versprochen worden ist. Aber die Männer, welche dies Opfer bringen wollen, verlangen, daß [dass] erst etwas Tüchtiges, der Drucklegung Werthes [wertes] geschaffen werde, und dazu braucht die Gesellschaft die Mitarbeit und die pekuniäre Hülfe [Hilfe] des gesammten [gesamten] Deutschthums [Deutschtums] des Staates.
Außerdem – die Gesellschaft ist sich sehr wohl bewußt [bewusst], daß [dass] die Akten über die Geschichte des Deutschthums [Deutschtums] von Illinois im ganzen neuzehnten Jahrhundert noch lange nicht geschlossen sind, und daß [dass] sich eine Geschichte nur über de eigentliche, bis Ender der fünfziger Jahre reichende Pionierzeit, und vielleicht über die in ihren hauptsächlichen, augenfälligen Einwirkungen mit dem Schluß [Schluss] der siebziger Jahre zu Ende gehende Zeit der Achtundvierziger schreiben läßt [lässt]. Was daraus folgt, das historisch zusammenzu [zusammen zu] fassen, wird Sache Derer sein, die nach uns kommen. Aber um sie in den Stand zu setzen, es mit voller Kenntniß [Kenntnis] der Thatsachen [Tatsachen] zu thun [tun], und dem Deutschthum [Deutschtum] von heute in seinem offenen und stillen Wirken in dem großen Gemeinwesen und inmitten so vieler sicher hier zusammendrängender, mit einander ringender Völker-Elemente gerecht zu werden, betrachtet sie es als eine ihrer Hauptaufgaben, alles darauf bezügliche geschichtliche Material zu sammeln. Und des weiteren [Weiteren]: dies Material in einem vor Zerstörung sicheren und der Forschung zugänglichen Archive niederzulegen und für dessen beständige Aufrechterhaltung und Vervollständigung zu sorgen, so lange von einem deutschen Bevölkerung-Element in Illinois und im Nordwesten die Rede sein kann.
Wohl hoffen wir, der Tag werde nie erscheinen, wo das Deutschthum [Deutschtum] in Illinois und dem Nordwesten zu den gewesenen Dingen gehört. Aber wir können nicht in die Zukunft schauen. Und einerlei, ob dieser Tag kommt oder nicht, und ob das Archiv dazu dienen wird, späteren deutschen Einwanderern zu zeigen, was ihre Vorgänger hier gethan [getan] und geleistet, und sie zur Nachahmung anzuspornen, oder dazu, unter den Enkeln und Urenkeln der heutigen Deutschen das Andenken an ihre würdigen Vorfahren wachzuerhalten [wach zu erhalten] und geschichtlich unanfechtbares Zeugniß [Zeugnis] abzulegen von Denen, die hier den Grund zu all‘ der Größe der Zukunft fest gemauert haben, - in jedem Fall wird es seinen Zweck erfüllen.
Ein solches Archiv anzulegen, es in übersittlicher, der Forschung entgegenkommender Ordnung zu halten, es in einer der Größe und des Wohlstandes des Deutschthums [Deutschtums] würdigen Weise unterzubringen und auszustatten, - das geht über die Kräfte Einzelner oder auch Mehrerer. Dazu erscheint ein Mitthun [Mittun] des Deutschthums [Deutschtums] des ganzen Staates nothwendig [notwendig]. Und je nachdem dieses Mitthun [Mittun] gewährt oder vorenthalten wird, wird die Gesellschaft auch diesen zweiten, aber sehr wesentlichen Theil [Teil] ihre Aufgabe in mehr oder minder würdiger Weise zu erfüllen im Stande sein.
Aus dem Vorhergehenden geht hoffentlich zur Genüge hervor, daß [dass] die Deutsch-Amerikanische Historische Gesellschaft von Illinois keinerlei einseitige Zwecke verfolgt, und nicht im Interesse irgend einer Partei oder Clique, oder Richtung oder Lokalität in’s Leben gerufen ist, Sie verfolgt keine politischen, religiösen oder gar persönlichen Ziele, sondern ist allein von der hohen Aufgabe beseelt, dem Deutschthum [Deutschtum] von Illinois und seiner Kulturarbeit am Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein den Wechsel der Zeiten überdauerndes Denkmal zu setzen.
Die Gründung und Incorporirung [Inkorporierung] der Deutsch-Amerikanischen Historischen Gesellschaft von Illinois wurde am 2. März 1900 beschlossen, ihre eigentliche Arbeit begann mit der am 6. April erfolgten Annahme der Nebengesetze und Wahl der Beamten. Die ersten Monate waren nothwendiger [notwendiger] Weise der Beschaffung der zu Propaganda nöthigen [nötigen] Drucksachen und dieser selbst gewidmet. Sie wurde durch die heiße Jahreszeit und die Wahl unterbrochen. Seit der letzteren ist die Gesellscahft in erhöhte Thätigkeit [Tätigkeit] getreten. Als theilweises [teilweises] Ergebniß [Ergebnis] derselben bieten sich das vorliegende erste Heft der „Deutsch-Amerikanischen Geschichtsblätter“ und die darin enthaltenen Arbeiten da.
Chicago, im Dezember 1900.
Emil Mannhardt,
Sekretär.


Vergangenheit verstehen, doch nicht zurück ersehnen,
Die Gegenwart ersehn, doch nicht vollkommen wähnen,
Die Zukunft klug erspähn, und so sie vorbereiten –
So mag sich wohl ergehn [ergehen] dein Geist in allen Zeiten.

Laßt [Lasst] uns loben die berühmten Männer und unsere Vorfahren in ihren Geschlechtern.
Eccl. l. 44, 1-2.
Die Erkenntniß [Erkenntnis] der weltgeschichtlichen Zusammenhänge kann nur aus dem Werdegang aller Völker geschöpft werden.
Helmolt

Translation

N/A

Dublin Core

Title

The Value and Goals of Research on German-American History (Wert und Ziel der deutsch-amerikanischen Geschichtsforschung)

Subject

German-American History and Historiography

Description

Account of Germans in Illinois, their work goals, and ethics

Creator

Deutsch-Amerikanische Geschichtsblätter

Source

from the journal Deutsch-Amerikanische Geschichtsblätter, vol. 1.1 (1901), pp. 20-24

Date

1901

Format

jpg

Language

German

Type

Text

Coverage

Chicago, Illinois